Dienstag, 26. Juli 2011

keine gute Idee: beim Vorangehen nach hinten blicken

"Neue "Welt"-Serie: So ändert sich die Energieversorgung in Hamburg - Welche Auswirkungen der schrittweise Übergang zu Windkraft und Co. für die Hansestadt hat."

Leider schwankt der Artikel zwischen Bemühen einerseits und dilettantischer Recherche und falschen Schlußfolgerungen andererseits. Schlecht gelaunte Zeitgenossen könnten sogar zu der Annahme kommen, der ganze Artikel sei eine getarnte Propaganda für das im Bau befindliche KoKW Moorburg.Vor allem behindert sich der Autor Herr Kopp aber selber dadurch, daß er auf dem Weg zur Energiewende nur nach hinten blickt.

Vorweg:
der Artikel krankt grundsätzlich an einer veralteten Annahme: Hamburg ist keine Energie-Insel. Bis ca. Mitte der 1990er Jahre dachte man im Strommarkt regional, d.h. Erzeugung und Nachfrage sollten geographisch dicht beisammen liegen. Damals gab es auch noch regional unterschiedliche Strommärkte mit unterschiedlichen Preisstrukturen. Dann kam die europaweite Liberalisierung des Strommarktes.

Kopp schreibt im letzten Drittel seines Artikels:
Dazu bedarf es einer weiteren riesigen Energieerzeugungsanlage. Die steht in Moorburg. Das Kohlekraftwerk, das dort gebaut wird, hat eine Leistung von 1640 Megawatt, also ungefähr zweimal so viel wie das Atomkraftwerk Brunsbüttel. Es wird in der Lage sein, 80 Prozent des Strombedarfs der Stadt zu decken.
Kurz gesagt: zu sagen Hamburg brauche das KoKW Moorburg, um „seinen“ Energiebedarf zu decken, ist quatsch. Hamburg bezieht seinen Strom aus dem europaweiten Stromnetz. Wenn nämlich Hamburg heute noch eine regionale Energieversorgung hätte, dann ist doch verwunderlich, daß es keinerlei Einbußen gibt, obwohl mit Brunsbüttel und Krümmel die lt. Artikel eigentlich tragenden Säulen der Hamburger Energie-Versorgung seit Jahren nicht zur Verfügung stehen und das KoKW Moorburg wenn überhaupt erst mit einigen Jahren Verspätung ans Netz gehen wird. Der Autor Kopp schreibt denn auch richtig an anderer Stelle für das Jahr 2009:
Knapp 80 Prozent des Hamburger Strombedarfs werden von außerhalb der Stadt bedient, und ein Großteil der Energie kommt derzeit von dem Atomkraftwerk in Brokdorf.

Was dann ein KoKW Moorburg direkt mit der Stromversorgung Hamburgs zu tun hat, erschließt sich dem aufgeklärten LeserIn nicht. Daß dieses reine greenwashing Argument „Moorburg sei das Kraftwerk Hamburgs“ seitens der KoKW Moorburg Betreiber und auch der Befürworter daher gerade in einem Artikel, der sich nach Eigenaussage mit der Energieversorgung Hamburgs beschäftigt, nicht nur nicht widerlegt, sondern auch noch nachgeplappert wird, ist nicht nur bedauerlich, sondern geradezu ärgerlich – und disqualifiziert diesen an sich ehrenwerten Versuch leider auf der fachlichen Ebene.

Dazu kommen noch einige andere Patzer, von denen ich nur einige Exemplare nennen möchte:

Egal, wie es kommt, schon jetzt ist absehbar, dass die erneuerbaren Energien in Hamburg niemals genug Strom liefern können, um die ganze Stadt zu versorgen.


Woher weiß der Autor das? Niemand hat vor einigen Monaten in Deutschland gewußt, daß wir heute tatsächlich die Energiewende eingeläutet haben, und jetzt weiß Herr Kopp aber, daß die erneuerbaren Energien in Hamburg niemals ausreichen werden? Erstaunlich … und nicht haltbar. So weiß man z.B. heute noch überhaupt nicht, welche Potentiale Geothermie für Hamburg haben könnte.
Deshalb ist der folgende Satz von Herrn Kopp ebenfalls unsinnig:
Auch nach der Energiewende wird Hamburgs Strombedarf von außen gedeckt werden müssen.
Nein, nicht müssen, sondern können! Das Grundprinzip der Energiewende besteht aus Dezentralität und Ausgleich. Dort, wo wenig erneuerbare Energie erzeugt wird, muß mehr erneuerbare Energie hintransportiert werden. Und glücklicherweise liegt Hamburg in unmittelbarer Nachbarschaft von Schleswig-Holstein, das in Zukunft einen Überschuß an Energie produzieren wird, der in Hamburg abgenommen werden kann. Für die windarmen Tage arbeitet man mit Regelenergie z.B. aus BHKWs, Biomasse-, Gaskraftwerken, etc. Ein solches Szenario zu recherchieren (das der SRU bereits 2009 entworfen hat), wäre übrigens ein schöner Punkt dieses Artikels gewesen.
Ein solches Szenario macht auch deutlich, daß die einzelnen Zahlen für in Hamburg installierte Anlagen keinerlei Aussagewert für die (jetzige und künftige) Energieversorgung haben. Sie können höchstens Ausdruck des politischen Willens sein, auch vor Ort in Hamburg für einen Ausbau der regenerativen Energien zu sorgen. Und leider zeigen die aktuellen Zahlen für Hamburg, daß hier (positiv ausgedrückt) noch sehr viel Potential herrscht – in der Umwelthauptstadt Europas.
Nicht zu unterschätzen ist allerdings die Leistung von Biomassekraftwerken, von denen es 19 kleinere in Hamburg gibt. Ein großes mit einer Leistung von 17 Megawatt Fernwärme und fünf Megawatt Strom wird derzeit von Vattenfall am Haferweg gebaut. Die Biomassekraftwerke lieferten im vergangenen Jahr 176 000 Megawattstunden Strom. Ihr Anteil an den erneuerbaren Energien in Hamburg liegt damit bei 70 Prozent. Biomassekraftwerke leben von der thermischen Verwertung natürlich nachwachsender Rohstoffe. Hamburg ist eine grüne Stadt und produziert relativ viel Biomüll, doch für ein auf Stromerzeugung ausgelegtes Kraftwerk wie das am Haferweg bei Weitem nicht genug. Die Anlage braucht 76 000 Tonnen Holzhackschnitzel pro Jahr. Betreiber Vattenfall ist gezwungen, die Biomasse aus einem Umkreis von 100 Kilometern um die Stadt zusammenzukaufen. Das mindert die Öko-Effizienz.
Was Herr Kopp zum Thema Biomasse schreibt, ist grundsätzlich richtig. Leider disqualifiziert er sich wieder selber mit einem allzu platten Pauschalurteil:
Geradezu ökologisch unsinnig ist, was in Berlin passiert. Dort hat die Bevölkerung Vattenfall den Bau eines Kohlekraftwerks untersagt. Stattdessen wurde ein Biomassekraftwerk gefordert. Die Hölzer zur Verfeuerung lässt Vattenfall per Schiff aus Liberia kommen. Damit ist auch diese Lösung schnell ausgereizt. Obgleich auch Hamburg Energie derzeit über den Bau eines acht Megawatt starken Biomassekraftwerks verhandelt.
Das würde suggerieren, daß die Gegner des Berliner KoKWs Vattenfall gleichzeitig vorgeschrieben hätten, für das alternative Biomasse-Kraftwerk das Holz aus Liberia zu importieren. Das ist aber nicht der Fall, sondern Vattenfall hat sich (nach meinem Kenntnisstand) aus ökonomischen Gründen für diesen Lieferweg und nicht für eine regionale Lösung entschieden. Und nur mal am Rande: der Autor dieses Kommentars ist weit davon entfernt, Vattenfall freundlich zu sein – trotzdem würde selbst ich mir anders als Herr Kopp erst nach fundierten Recherchen anmaßen, den Import von Totholz (Eigenaussage von Vattenfall) pauschal zu kritisieren.
Übrigens wäre es an dieser Stelle von Herrn Kopp schön gewesen, neben dem geplanten Vattenfall Kraftwerk am Haferkampsweg auf ein Hamburger Projekt hinzuweisen, daß deutschlandweit z.Zt. einmalig ist. Nämlich das Projekt eines Energiebunkers in Altona als Biomassekraftwerk in Bürgerhand mit 3-4 MW Leistung, genossenschaftlich betrieben. So sieht nämlich die Energiewende auch aus: Energie in und aus Bürgerhand, was gleichzeitig die Herrschaft der Energiekonzerne bricht. Mit ein wenig Rechercheaufwand läßt sich das Projekt detailliert und fundiert im Internet finden und nachlesen.


Kommen wir zurück zum Artikel von Herrn Kopp:


Damit ist klar: Alle drei Erzeugungswege - Biomasse, Solaranlagen und Windkraft - können nur in begrenztem Maße in Hamburg ausgebaut werden und sind allein nie in der Lage, die Stadt mit der nötigen Energie zu versorgen.
Interessant, daß Herr Kopp Erzeugungswege wie Biogas und Geothermie gar nicht erwähnt. Der Grund erschließt sich mir nicht.



Dazu bedarf es einer weiteren riesigen Energieerzeugungsanlage. Die steht in Moorburg. Das Kohlekraftwerk, das dort gebaut wird, hat eine Leistung von 1640 Megawatt, also ungefähr zweimal so viel wie das Atomkraftwerk Brunsbüttel. Es wird in der Lage sein, 80 Prozent des Strombedarfs der Stadt zu decken.



Zu diesem „Argument“ habe ich ja direkt am Anfang etwas geschrieben. Aber jetzt läuft die Argumentation seitens Herr Kopp leider völlig aus dem Ruder:



Moorburg hat Vorteile und Nachteile. Sein größter Vorteil ist, dass das Kraftwerk mitten in der Stadt steht.
Aha. Fragen Sie, Herr Kopp, doch bitte mal die Wilhelmsburger Ärzteschaft, was die von dem „Standort mitten in der Stadt“ halten. Ich gebe Ihnen vorab schon mal ein paar Infos mit auf dem Weg: Der Verein „Wilhelmsburger Ärzteschaft“ warnt: Moorburg wird laut Planungen einen zusätzlichen Ausstoß von ca. 400 Tonnen Feinstaub verursachen: das sind ca 200 Gramm für jeden Bürger Hamburgs + Umland! "Ein Zusammenhang zwischen Feinstaubbelastung und Atemwegserkrankungen wird von niemand angezweifelt", so die Ärzteschaft. Dazu kommen 8 Millionen Tonnen des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid (CO2) jährlich zusätzlich aus dem KoKW. Zitat Wilhelmsburger Ärzteschaft:
Leider sind es gerade kinderreiche Stadteile wie Wilhelmsburg, Veddel, Rothenburgsort, Billstedt, die gesundheitsschädigenden Umweltfaktoren in besonderer Weise ausgesetzt sind.

Ok, dann Schreibt Herr Kopp weiter:

Die Zeit der Abhängigkeit von Versorgungsleitungen aus dem Umland sind vorbei.
Auch völliger Quatsch. Herr Kopp selber schreibt zwei Zeilen weiter:
Also kann Moorburg nur eine Übergangslösung sein. Für zehn, vielleicht 20 Jahre.
Und was kommt also danach? Genau, eine dezentrale Stromversorgung auch aus dem Umland. Die Übertragungsnetze müssen also ausgebaut werden.
Weiter Kopp:

Zudem liefert Moorburg nicht nur Strom, sondern auch Fernwärme für 400 000 Haushalte.
1. Fehler: Vattenfall liefert heute durch die KoKW Tiefstack und Wedel an ca. 400.000 Haushalte Fernwärme. Die Fernwärme aus dem KoKW Moorburg soll das Fernwärme-KoKW Wedel ersetzen, das heute ca. 180.000 Haushalte beliefert. Da hat Herr Kopp also leider etwas bei den Zahlen verdreht.
2. Fehler: Die Fernwärmeleitung gibt es noch nicht und wird voraussichtlich auch nicht mehr genehmigt werden. Damit fällt die Fernwärme aus dem KoKW Moorburg weg.
Kopp; 
Auf der anderen Seite stößt es trotz eines respektablen Wirkungsgrads von 46,5 Prozent acht Millionen Tonnen Kohlendioxid jährlich in die Luft.

Nun ja, 46,5% halten nur die skrupellosen Befürworter eines KoKW für „respektabel“. Zum Vergleich: die kleinen Haus-BHKWs, die Herr Kopp auch erwähnt, haben in der Regel einen Wirkungsgrad von 92%.
Wieder Kopp:
Für das Klima ist das schädlich, und zur Energiewende trägt das Kohlekraftwerk auch nicht bei, da diese ja den kompletten Wechsel zu regenerativen Energieanlagen vorsieht. Also kann Moorburg nur eine Übergangslösung sein. Für zehn, vielleicht 20 Jahre.
Der Sinn eines Betriebs eines neuen KoKWs für 10-20 Jahre erschließt sich weder mir noch (davon bin ich überzeugt) den Herren von Vattenfall. Hier wäre ich an einer Gesprächsrunde mit Herrn Kopp und Herrn Wasmuth sehr interessiert, wo Herr Kopp Vattenfall auf die Begrenzung von Moorburg auf 10 Jahre einschwört … (nicht, daß selbst 10 Jahre zu lang und ökonomisch und ökologisch unsinnig sind, aber interessieren würde es mich schon).
Überhaupt ist es sehr lustig, daß Herr Kopp sich ausgerechnet den Hamburger Vattenfall Chef als Stichwortgeber für seinen Artikel ausgesucht hat, also den Mann, der qua seines Amtes genau NICHT für die Energiewende in Hamburg stehen kann, sondern aus Sicht von Vattenfall (sogar nachvollziehbar) alles (vattenfall)mögliche GEGEN die Energiewende tun muß, damit seine überkommenen Kraftwerke wie Wedel, Tiefstack, Brokdorf und (vielleicht) Moorburg so lange wie möglich noch laufen!
Innovativ von Herrn Kopp wäre es gewesen, z.B. Wissenschaftler an den Lehrstühlen von HCU und HAW zu befragen, die sich tatsächlich mit dem Umbau der HH Energieversorgung beschäftigen ... oder Herrn Hohmeyer von der Uni Flensburg um Mitglied im SRU. Oder mindestens, wenn schon Wasmuth zu Wort kommt, dann auch die Vertreter der Umweltschutzverbände mit ihren Szenarien zu Wort kommen lassen.



Ich möchte zum Ende kommen …
Niemand hat gesagt, dass die Energiewende billig ist - aber sie ist zu schaffen.

Erstaunt bin ich, daß Herr Kopp tatsächlich mit solch einer „offenen“ Aussage endet. Denn anders als die meisten Punkte in seinem Artikel ist diese Aussage tatsächlich zutreffend. Denn
  1. ja, die Energiewende ist zu schaffen
  2. ja, sie ist nicht billig, denn sie ist es wert.

Wichtig ist nur, auf die Details zu gucken:
und dann müßte es heißen:
ja, die Energiewende ist zu schaffen, auch trotz eines KoKW Moorburg.
In dem Sinne, Herr Kopp, sehen Sie bitte meine Kritik als Ansporn, und ich freue mich auf die weiteren Artikel der
Neue "Welt"-Serie: So ändert sich die Energieversorgung in Hamburg - Welche Auswirkungen der schrittweise Übergang zu Windkraft und Co. für die Hansestadt hat.

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