Folgender Bericht, bei dem es um ein Strafverfahren in Zusammenhang mit den Vattenfall Cyclassics 2011 geht, erreichte uns:
Man
sollte meinen, mehrere glasklare Freisprüche und Verfahrenseinstellungen mit
deutlichen Bezügen auf Verfassungsgerichtsurteile müssten reichen, damit die
Gerichte es endlich mal sein lassen, aus der Buchstabenkombination ACAB eine
eindeutige Beleidigung zu machen. Aber wo der Strafwahn im Vordergrund steht,
geht eben doch alles.
Im
Sommer 2010 versuchen zwei Kletter-Aktivist_innen mit Transparenten in Bäumen
gegen die Vattenfall-Cyclassics zu protestieren. Beteiligungen an den AKW
Krümmel, Brunsbüttel und Brokdorf sowie der Bau des Kohlekraftwerks in Moorburg
und die Zerstörung der Lausitz für Braunkohletagebau sind Grund genug,
Vattenfall als Sponsor des Radrennens auf's Dach zu steigen. Wegen technischer
Probleme klappt die Kletteraktion nicht, die Aktivist_innen verlassen die Bäume
und werden äußerst unsanft von der Polizei empfangen. Statt die beiden nur
wegzuschicken und ihnen Platzverweise zu erteilen, werden sie kurzerhand
mitgenommen, getreten, gedemütigt, verletzt und für mehrere Stunden in
fensterlose Zellen beim PK 14 in Unterbindungsgewahrsam gesteckt.
Bei
der Entlassung unterschrieb eine der zwei Personen das Rückgabeformular für die
Entgegennahme der beschlagnahmten Gegenstände mit einer Buchstabenkombination,
die von einer Polizistin als „ACAB“ entziffert wurde. Während dieser Vorgang im
ersten Polizeibericht noch keinerlei Erwähnung findet, so fühlt sich die Beamtin
einige Zeit später dann doch von den Buchstaben auf dem Zettel in ihrer Ehre
verletzt und erstattet Anzeige wegen Beleidigung. Polizei, Staatsanwaltschaft
und Gericht sind sich gewohnt einig und es ergeht ein Strafbefehl. Der
Beschuldigte legt Einspruch ein und es kommt vor dem Amtsgericht Hamburg zum
Prozess. Wegen Krankheit kann der Angeklagte zum angesetzten Fortsetzungstermin
nicht erscheinen, das Gericht verurteilt ihn trotz vor Verhandlungsbeginn
eingereichtem Attest in Abwesenheit zu 50 Tagessätzen. Der Angeklagte wehrt sich
dagegen, all seine Beschwerden werden abgewiesen, es bleibt nur die Berufung.
Die Staatsanwaltschaft geht ebenfalls in Berufung und begründet dies damit, 50
Tagessätze seien eine zu niedrige Strafe, der Angeklagte sei staatsfeindlich und
deswegen müsse er zu 100 Tagessätzen verurteilt werden.
Es
kommt zur Berufungsverhandlung, wieder ist die Polizistin als Zeugin
geladen. Sie ist sichtlich nervös, ruft im Vorfeld beim Gericht an, bittet
darum, auf dem Mitarbeiterparklatz parken zu dürfen und bekommt Geleitschutz zum
Saal. Sie leidet unter Burn-out, ist arbeitsunfähig geschrieben und schildert,
dass das ganze Geschehen sie sehr belaste. In der erstinstanzlichen Verhandlung
habe es vor dem Gericht mehrere maskierte Menschen gegeben, die sie erneut
beleidigt hätten und ihr nachgerufen hätten.
Rückblick:
Bei der amtsgerichtlichen Verhandlung hatte eine einzelne Person vor dem Gericht
gestanden und mit einem Schild „Occupy ACAB – All cops are beautiful“ dafür
geworben, sich die Deutungshoheit über das Akronym ACAB anzueignen (http://www.youtube.com/watch?v=88n3IRiCM8E).
Die
Verteidigung führt aus, dass zu einer Beleidigung gehört, sich persönlich
angesprochen und in der Ehre verletzt gefühlt zu haben. Erst jetzt und auf
explizite Nachfrage des Richters bejaht die Zeugin Komp sehr einsilbig („ja“,
„ja, klar“), sich persönlich angesprochen und in ihrer Ehre verletzt gefühlt zu
haben. Nähere Ausführungen dazu kann sie nicht machen, weitere Fragen der
Verteidigung werden verboten. Nichtsdestotrotz hält das Gericht die Angaben der
Zeugin für glaubwürdig, will die Beweisaufnahme schließen. Die zuvor
durchgesetzte Laienverteidigerin (http://laienverteidigung.de.vu/)
kritisiert die Ungleichbehandlung von Polizeizeug_innen vor Gericht und zweifelt
die Glaubwürdigkeit der Zeugin an. Zahlreiche Beweisanträge verhindern die
vorzeitige Beendigung der Beweisaufnahme, der Prozess wird wieder unterbrochen.
Man wolle ja schließlich „nichts über's Knie brechen“ erklärt Richter Dr.
Halbach sein Verhalten. Und noch etwas räumt er (sogar protokollfest) ein: Die
Deutung „Acht Cola, Acht Bier“ sei ihm durchaus bekannt.
Juristisch
ist dieser Fall keineswegs eindeutig, Streitpunkte sind neben der Deutung von
ACAB auch die Frage, ob sich eine konkrete Beamtin (mit der der Angeklagte zu
keinem Zeitpunkt persönlich zu tun hatte) überhaupt von „all cops“ angesprochen
fühlen kann. Immerhin beschreibt „all cops“ ein unüberschaubar großes und nicht
klar abgrenzbares Kollektiv (ist also vergleichbar mit „Soldaten sind Mörder“).
Außerdem wurde dem Angeklagten das Formular aus der Hand gerissen, eine
Beleidigung muss allerdings mit Willen des Täters zur Kenntnis des Beleidigten
oder eines Dritten gelangen. Und nicht zuletzt bleiben die Misshandlungen des
Angeklagten (mit blutigen Wunden als Folge), weswegen es als durchaus
sozialadäquat angesehen werden kann, die Polizeibeamt_innen sehr deutlich zu
beschimpfen. Es bleibt abzuwarten, ob sich das Gericht auch nur minimal für
irgendeines dieser Argumente interessiert, wer sich das Theaterstück ansehen
will, ist herzlich willkommen.
Fortsetzungstermin
ist der 2. August, 10:30 Uhr, Landgericht Hamburg, Eintritt frei,
Einlasskontrollen inklusive
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